„Es mag sich merkwürdig anhören, aber wir haben den Tod der Lisbon-Töchter gelebt“, so beschreibt der Erzähler von Eugenides faszinierendem Erstlingsroman die Reihe von Selbstmorden, in der die Lisbon-Schwestern nach und nach aus dem Leben getreten sind. Noch Jahre später fällt es dem Erzähler schwer, den genauen Grund in Worte zu fassen, und er macht sich auf die Reise durch die Vergangenheit, um der Lösung dieses Rätsels vielleicht doch einen Schritt näher zu kommen. Im Amerika der 70er Jahre halten die strenge Lisbons ihre fünf Töchter von der Gesellschaft fern, um sie von den Übeln der Welt zu verschonen. Dadurch wirken die Mädchen unerreichbar und stellen auf diese Weise eine ganz besondere Faszination für die heranwachsenden Jungen aus der Nachbarschaft dar, zu denen sich auch der Erzähler zählt. Jedoch beginnt die eigentliche Obsession der Jungen erst mit dem ersten Selbstmordversuch.
Die jüngste, Cecilia, ist die erste, die versucht, ihrem Leben ein Ende zu machen, doch findet man sie gerade noch rechtzeitig – das Blut, das aus ihren Pulsadern floss, hatte das Wasser schon rötlich verfärbt. Doch wenige Wochen später gelingt ihr die Flucht, indem sie sich aus dem Fenster stürzt, während ihre Schwestern mit den Nachbarsjungen eine Party im Keller feiern. Die Erschütterung ist groß, und das nicht nur bei den Eltern. Cecilias Selbstmord beschäftigt die ganze Nachbarschaft und auch die Presse berichtet darüber.
Die Situation im Haus der Lisbons eskaliert schließlich, als die fünfzehnjährige Lux nach einer Verabredung, bei der alle Schwestern gemeinsam mit ein paar Jungen aus waren, zwei Stunden zu spät zurückkehrt. Mrs. Lisbon lässt Lux ihre Schallplatten verbrennen, die Mädchen werden aus der Schule genommen und verlassen das Haus nun gar nicht mehr. Bald wird der schleichende Verfall auch für die Außenwelt sichtbar.
Erst jetzt erkennen die Nachbarsjungen, die sich nicht vom Lisbon-Haus und den Mädchen losreißen können, die verzweifelten Hilferufe der Mädchen, doch es ist bereits zu spät.
„Die Selbstmord-Schwestern“ ist ein zutiefst erschütternder Roman, der den Leser nicht mehr aus seinem Bann lässt. Einfühlsam beschreibt Eugenides das isolierte Leben der jungen Mädchen und das plagende Unverständnis der Nachbarsjungen, die die Lisbon-Mädchen nicht als eigenständige Persönlichkeiten begreifen. Erst durch den individuellen Selbstmord gelingt es den Schwestern, aus dem häuslichen Gefängnis zu entfliehen und als eigenständige Person, abseits der Schwestern, gesehen zu werden. Eugenides Erstlings-Roman ist durch und durch kunstvoll komponiert und besticht durch eine erzählerische Klarheit, die dennoch nicht alles enthüllt und einen geheimnisvollen Schleier, sowohl über die Lisbon-Mädchen, als auch über den Erzähler und seine Freunde wirft.
Im Sommer diesen Jahres erscheint die Taschenbuchausgabe von „Die Selbstmord-Schwestern“.
Ursprünglich veröffentlicht auf literature.de
Jeffrey Eugenides: Die Selbstmordschwestern
Hardcover
Verlag: rowohlt
Seiten: 256
ISBN-13: 978-3498016715