Was ist dem Menschen angeboren und was durch die Gesellschaft erlernt? Eine Frage mit der wir spätestens im Pädagogik oder Philosophieunterricht das erste Mal konfrontiert wurden. Vielen klingelt dabei sicherlich auch noch der Name Jean-Jacques Rousseau in den Ohren.
T.C. Boyle widmet sich mit „Das wilde Kind“ dem jungen Victor von Aveyron der ebenfalls in der Wildnis aufwuchs und sein Leben ausschließlich auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet hatte. Im Herbst des Jahres 1797 wird Victor, der zu diesem Zeitpunkt noch ohne Namen ist, aus seinem natürlichen Umfeld herausgerissen und nach einigem Hin und Her unter staatliche Obhut gestellt. Seine Betreuer, die glücklicherweise langfristig mit ihm arbeiten. Doch Victor macht nicht die von der Obrigkeit gewünschten Fortschritte und kann sich in Gesellschaft weiterhin nicht korrekt benehmen. Auch ein letzter Versuch, die Obrigkeit davon zu überzeugen, dass Victor ein Gerechtigkeitsempfinden angenommen hat, bleibt aussichtslos. Schließlich wird die Erziehung eingestellt und Victor der Obhut seiner bisherigen Bezugsperson unterstellt.
Wie üblich bezieht sich T.C. Boyle auf eine wahre Begebenheit und baut diese sehr emotional auf. Durch die wechselnden Perspektiven – man steht einmal auf der Seite der „Erzieher“ und einmal auf Victors Seite – hat man als Leser einen ganz anderen Zugang zu dem wilden Kind und schwankt häufiger zwischen „Lasst den armen Jungen doch so leben, wie er es bisher kennt“ und „Wie kann man denn einfach so ein Kind aufgeben“.
T.C.Boyle: Das wilde Kind
Taschenbuch
Verlag: dtv
Seiten: 112
ISBN-13: 978-3423140652